Damit ein Rückruf nicht zum Nachruf wird

Produkterückrufe sind keine Seltenheit. In diesem Jahr kam es gemäss des Eidgenössischen Büros für Konsumentenfragen zu rund 100 Fällen in der Schweiz. Die Kosten eines Rückrufs variieren je nach Produkt und sollten unbedingt bedarfsgerecht versichert werden.

Samsung, Toyota, Johnson & Johnson und Boeing sind alles nicht nur bekannte Marken. Sie waren auch unlängst mit milliardenschweren Schäden konfrontiert (insgesamt rund CHF 18 Mrd.), eine Folge der fehlerhaften Konstruktion ihrer Produkte. 439 Tote und über 30'000 Verletzte und Geschädigte lassen sich auf explodierende Smartphones, klemmende Gaspedale, abgeriebene Metallsplitter aus Hüftprothesen und Softwarefehler zurückführen. Von den Reputationsschäden abgesehen, machen die geleisteten Entschädigungen an Hinterbliebene oder Geschädigte in solchen Fällen nur einen geringen Teil der Kosten aus. Der viel grössere Teil entfällt auf den Rückruf, Aus- und Einbau oder den Ersatz der fehlerhaften Produkte. Die damit verbundenen Kosten lassen sich grösstenteils mittels einer erweiterten Produktehaftpflichtversicherung transferieren. Gleichwohl hängt die Höhe dieser Kosten von diversen Faktoren ab, die bei der Risikoanalyse und der Gestaltung von Versicherungslösungen berücksichtigt werden sollten.

Kostenarten bei einem Rückruf

Ist ein Produkt fehlerhaft, folgt – je nach Sicherheitsrelevanz und Funktionsfähigkeit – ein öffentlicher oder stiller Rückruf. Ein öffentlicher Rückruf ist mit einem gewissen Zeitdruck verbunden und aufgrund knapper Ressourcen auch mit erhöhten Kosten (z.B. Aufruf- und Benachrichtigungskosten, PR-Kosten). Parallel dazu muss der Wirkungskreis des Rückrufs bzw. die betroffenen Produkte eingegrenzt werden. Es gilt: Je leichter sich die Produkte über die gesamte Supply-Chain rückverfolgen lassen, desto geringer fallen die Prüf- und Sortierkosten der derzeit verarbeiteten, eingelagerten oder bereits eingebauten Produkte aus.

Sind die mangelhaften Produkte identifiziert, gilt es für den makellosen Ersatz zu sorgen. Dabei spielt die Komplexität des Endprodukts eine bedeutende Rolle. Wird das eigene Produkt in der Wertschöpfungskette weiterverarbeitet, mit anderen Produkten verbunden oder vermischt, steigt zugleich die Komplexität und die aufzubringenden Kosten für den Ersatz. Dies vor allem, weil die Produktionskosten der Lieferanten und der Kunden zu entschädigen sind. Vorsicht: Der Herstell- oder Verkaufspreis des eigenen Produktes kann irreführend sein und zunächst ein geringes Risiko indizieren. Nichtdestotrotz können Erzeugnisse mit einem Verkaufspreis von wenigen Rappen mit einem deutlich höherwertigen Endprodukt verbunden oder vermischt werden und seinen vollständigen Austausch erfordern. 

Schliesslich müssen die Ersatzprodukte an den Ort ihrer Verwendung transportiert werden, was zuerst organisiert und finanziert werden will. Die Logistikkosten steigen mit der Grösse und dem Gewicht der zu befördernden Ware. Am Verwendungsort angelangt, muss das fehlerhafte Produkt gegen das mangelfreie ausgetauscht werden. Je nach Produkt erfolgt ein Aus- und Einbau, was meist spezielle personelle Ressourcen erfordert.

Zuletzt fallen Entsorgungskosten an. Während bei der Entsorgung mancher Produkte Erträge generiert werden können (z.B. für seltene Metalle und Erden), muss insbesondere bei Gefahrstoffen mit hohen Aufwendungen gerechnet werden (z.B. kontrollierte Sprengung eines fehlerhaften Airbags). 

Drei Beispiele: VW-Rückruf im Oktober 2019 aufgrund Anfahrschwäche mit TSI Schaltgetriebe, 29 Maschinen des Typs A220 der Swiss blieben im Oktober 2019 aufgrund von Triebwerksproblemen am Boden und die Migros ruft veganes "AHA Choco Dessert" am 11. Oktober 2019 zurück


Bedarfsgerechte Versicherungslösungen und -summen

Die Versicherbarkeit dieser Kosten variiert je nach Geschäftstätigkeit und Branche. Versicherungsdeckungen der erweiterten Produktehaftpflicht sind oft bausteinartig aufgebaut und sublimitiert, sprich mit einer Summe begrenzt. Die Bestimmung der notwendigen Summen je Kostenart oder -baustein fordert viele Unternehmen heraus, was eine Unterversicherung begünstigt. Wer die Kosten systematisch analysiert, kann Klarheit über die eigene Risikoexponierung erhalten, bedarfsgerechte Versicherungslösungen fördern sowie die Gefahr einer Unterversicherung reduzieren.

Konstruktionsfehler bergen das grösste Schadenspotenzial

Ein fehlerhaftes Produkt kann als Ergebnis mangelhafter interner Kontrollen und Regelungen angesehen werden. Zudem kann ein fehlerhaftes Produkt eine Pflichtverletzung des Produzenten für die Konsumentensicherheit und die Fehlerfreiheit des Produktes darstellen. Die Fehler treten oft bei der Konstruktion, der Fabrikation oder der Montage auf. Ebenso kann das Material fehlerhaft beschaffen sein oder die Beratung und Instruktion/Dokumentation rund um das Produkt Fehler aufweisen. Das grösste Schadenspotenzial liegt bei den Konstruktionsfehlern.

Von Konstruktionsfehlern sind Produkte über den gesamten Produktlebenszyklus und nicht nur gewisse Chargen betroffen. Die eingangs erwähnten Beispiele bekräftigen diese Feststellung. Viele Unternehmen gehen davon aus, die Konstruktions- bzw. Designverantwortung auf ihre Kunden ausgelagert zu haben. Eine Mithaftung ist jedoch auch dann nicht auszuschliessen, wenn das Produkt gemeinsam mit dem Kunden entwickelt wird, Empfehlungen an Kunden abgegeben werden oder das eigene Unternehmen schlichtweg als Experte auf einem bestimmten Gebiet auftritt.

Prävention ist besser als Reaktion

Den Risiken von Produktefehlern (Ursache) und Produkterückrufen (Auswirkungen) können Unternehmen gezielt mit präventiven und reaktiven Massnahmen begegnen. Neben den klassischen Kontrollen im Qualitäts- und Sicherheitsmanagement (FMEA etc.) empfiehlt es sich, vor allem bestehende Vertragsbeziehungen mit Kunden und Lieferanten auf Haftung und Gewährleistung zu überprüfen. Dabei gilt es auf eine faire Risikoverteilung in der Supply-Chain zu achten und - wo möglich - Haftungsbeschränkungen durchzusetzen. Um das Schadensausmass denkbarer Konstruktionsfehler einzugrenzen, kann die Verantwortung für Konstruktion, Test und Freigabe von Produkten ebenso vertraglich fixiert werden.

Erfahrungsgemäss existiert im Vertrieb kein einheitliches Verständnis darüber, welche Haftungskonstellationen eingegangen werden sollten und welche nicht. Eindeutig definierte und kommunizierte Standards, ergänzt durch ein Vertragsmanagementsystem, wirken vorbeugend. Komplementär dazu lassen sich Mitarbeiter schulen und in Kampagnen sensibilisieren, um bei ihnen das Bewusstsein für Produkthaftungsbelange zu schärfen.

Zu guter Letzt lohnt sich auch die Vorbereitung auf den Ernstfall. Unternehmen, die einen Rückrufprozess in ihrer Notfall- und Krisenplanung vorbereitet und geübt haben, reagieren schneller und professioneller und schützen ihre Reputation besser. So wird ein Rückruf für Unternehmen nicht zum Nachruf.

Workshop zu Product Liability

Die Funk Gruppe bietet ein strukturiertes Vorgehen an, um Risikopotenziale aus gesetzlicher oder vertraglicher Produktehaftung zu bestimmen. Im Rahmen eines Workshops werden kritische Produkte eines Unternehmens identifiziert und die internen Kontrollen und Regelungen überprüft. Dadurch kann beurteilt werden, welche Produktefehler mit welcher Wahrscheinlichkeit eintreten könnten. Anschliessend werden auch die Auswirkungen und Kosten eines Rückrufs je Produkt beziffert. Die formulierten Szenarien bilden die Grundlage, um ein Simulationsmodell aufzubauen. Anhand dieses Modelles lassen sich versicherbare und nicht versicherbare Schadenspotenziale berechnen und aufzeigen. Endbericht und -präsentation umfassen die im Workshop gewonnen Erkenntnisse, Empfehlungen zur Gestaltung von Versicherungslösungen sowie präventive und reaktive Massnahmen, die helfen, Risikopotenziale zu reduzieren.


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