Energiemangel: Versicherungen und Vorkehrungen für die Industrie

Wir geben einen Überblick über Versicherbarkeit und Krisenmanagement.

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs stellt sich die Frage nach der Versorgungssicherheit. Die Abhängigkeit vom russischen Erdgas und Erdöl ist trotz allen Bemühungen der Politik eine grosse Herausforderung. Dies betrifft jedoch nicht nur die Wärmeversorgung, denn Gas wird im grossen Umfang auch für die Erzeugung von Strom verwendet. Aufgrund der vorübergehenden Stilllegung eines Teils der französischen Atomkraftwerke zu Wartungszwecken sowie Problemen bei der Reaktivierung deutscher Kohlekraftwerke wegen Personalmangels und fehlender Kohlevorräte verschärft sich die ohnehin schon angespannte Situation im europäischen Stromnetz. Das Risiko lokaler oder auch weitreichenderer Stromausfälle (Blackouts) wird daher relevanter – auch über das Jahr 2023 hinweg.

Die Explosionen an den Pipelines Nordstream 1 und 2 sowie Drohnen-Sichtungen an kritischen Stellen der Energie-Infrastruktur, insbesondere in skandinavischen Ländern, führen darüber hinaus zu weiteren Zweifeln hinsichtlich der Versorgungssicherheit. Das Risiko von Sabotage steigt und ist in allen Bereichen der Energie-Infrastruktur denkbar, sei es durch physische Eingriffe oder Cyberattacken.

Ein Lieferstopp oder abrupte Versorgungsausfälle bei der Energieversorgung würden in den Industriezweigen mit hohem Energieverbrauch den grössten Schaden anrichten, also in der Metall-, Chemie- und Papierindustrie. Es wären jedoch auch weitere Branchen betroffen, sei es direkt oder indirekt, weil dort Vorprodukte fehlen würden. Die Konsequenzen einer Energiemangellage wären in der vernetzten Industrieproduktion je nach Szenario verheerend.

„Bei klassischen Deckungskonzepten wie der Feuer-Betriebsunterbrechungs-Versicherung und auch der Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherung ist grundsätzlich das Vorliegen eines Sachschadens Regulierungsvoraussetzung.“

Martin Vögeli

Betriebsunterbrechungs-Versicherung: In der Regel nicht gedeckt

Bei einem potenziellen Stromausfall rückt die Betriebsunterbrechungs-Versicherung in den Fokus, ähnlich wie zuletzt bei den durch Corona-Lockdowns ausgelöste Betriebsschliessungen. Martin Vögeli, Partner, Funk Schweiz, stellt klar: «Bei klassischen Deckungskonzepten wie der Feuer-Betriebsunterbrechungs-Versicherung und auch der Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherung ist grundsätzlich das Vorliegen eines Sachschadens Regulierungsvoraussetzung». Ein Versorgungsengpass oder ein Lieferstopp von Energieträgern, der nicht zu einem Sachschaden führt, ist damit in der Betriebsunterbrechungs-Versicherung nicht gedeckt. Dies gilt auch für eine Deckungserweiterung in der Technischen Versicherung, nämlich für den Ausfall der öffentlichen Versorgung mit Gas, Strom, Wärme oder Wasser. Auch hier muss zur Schadenregulierung ein Sachschaden an den Einrichtungen der öffentlichen Versorgungsinfrastruktur vorliegen.

NDBI-Deckung: Wenig Angebot am Markt

Vereinzelt gibt es innovative Deckungskonzepte, die in der Betriebsunterbrechungs-Versicherung keinen Sachschaden voraussetzen. Man spricht hier von Supply-Chain- oder NDBI-Deckungen («non-damage business interruption»). Seit der Corona-Pandemie mit ihren behördlich veranlassten Betriebsschliessungen ist die Bereitschaft der Versicherer, solche Deckungen anzubieten, jedoch sehr begrenzt. «Auch vor Corona besassen nur sehr wenige Unternehmen solche Deckungen, da das Prämienniveau bei diesen Lösungen sehr hoch ist und daher auch von Unternehmen vielfach nicht abgeschlossen worden sind», sagt Martin Vögeli.

Sachschäden: Bei richtiger Dokumentation ist Regulierung möglich

Indirekte Schäden aufgrund der Unterbrechung der Energieversorgung, wie zum Beispiel Schäden durch geplatzte Wasser- oder Sprinklerleitungen oder technisch bedingte Schäden an Maschinen und Anlagen infolge der Betriebsschliessungen, könnten versichert sein. Dies betrifft auch die Gebäude-Versicherung, sollten Immobilien, von Gewerbe bis (Ferien-)Wohnimmobilien, nicht mehr ausreichend beheizt werden. Wichtig ist in diesem Fall, dass Unternehmen die entsprechenden Merkblätter, Checklisten und Richtlinien im Kontext einer Betriebsstilllegung beachten und ihre Aktivitäten dokumentieren. Frostschäden, insbesondere an Sprinkleranlagen, können zum Beispiel durch Entwässerung oder Zugabe von Frostschutzmitteln vermieden werden. Letztlich stellt die Gemengelage eine Gefahrerhöhung nach vielen Bedingungswerken der Sach-Versicherer dar, die diesen von den Versicherungsnehmern anzuzeigen ist.

Vorkehrungen und Anforderungen der Versicherer

Nachdem die Unterbrechungen der Stromversorgung nicht vollkommen unvorhersehbar sind, werden die Versicherer in einem eventuellen Schadenfall prüfen, ob eine angemessene Vorbereitung erfolgt ist. Die Vorbereitungen in diesem Sinn betreffen vor allem zwei Ebenen.

Zunächst sollte überprüft werden, welche Schutzmassnahmen abhängig sind vom Strom und wie diese dann ersetzt werden können. Das kann zum Beispiel eine Notstromversorgung für eine Sprinkler- oder CO2-Anlage sein oder die Einführung von zusätzlichen Bewachungsrundgängen als Ersatz für die Einbruchmeldeanlage. Unabdingbar ist aber auf jeden Fall die Anzeige an den Versicherer, sobald die Schutzmassnahmen ausfallen.

Ergänzend hierzu empfiehlt es sich das Szenario eines Stromausfalles im Business Continuity Management aufzunehmen und vorsorgliche organisatorische Massnahmen zu entwickeln, um den Betriebsunterbrechungsschaden möglichst gering zu halten.

Je nach Produktionsart kann dies sehr anspruchsvoll sein, da bestimmte Prozesse nicht für ein paar Stunden unterbrochen werden können. Als Beispiele seien hier Reinräume, Giessereien, Öfen oder auch Logistikprozesse genannt.

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Martin Vögeli

Mitglied der Geschäftsleitung

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